Matthias Zwarg 2021

FREIE PRESSE Chemnitz 15. April 2021 über die Ausstellung in der Galerie Weise
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Mittags in Chemnitz 2, 2019, ca. 67x100cm

Diese Farben springen den Betrachter förmlich an.

VON MATTHIAS ZWARG

Florian Merkel ist ein künstlerisches Multitalent. Auch seinem eigentlichen Metier, der Fotografie, gewinnt er immer neue Seiten ab, wie eine Ausstellung in der Galerie Weise zeigt.
Die Farben springen die Betrachterin, den Betrachter förmlich an. Rot, Gelb, Blau, Grün, alles ein bisschen zu grell, zu heftig, als wäre die Welt in ein ganz besonderes Licht getaucht „Attacke“ heißt denn auch die aktuelle Ausstellung mit Fotos und Gemälden von Florian Merkel in der Galerie Weise.


Växjö 2, 2003, ca. 100x67cm

Seit Jahren experimentiert Merkel mit der uralten, aber kaum noch praktizierten Technik der Handkolorierung von Schwarzweißfotos. Die Bilder geben ihre Herkunft nur noch am Rand frei, wo der ursprüngliche Handabzug der Fotografie zu sehen ist. Ansonsten sind sie mit diversen Farben grellbunt übermalt. Das blonde Model wird noch blonder, Haut und Lippen strahlen aufdringlich in nur minimal verfremdeten, überhöhten Haut- und Lippenfarbtönen, abstrakte Gebilde schummeln sich in die geschickt inszenierten Fotos und gaukeln eine Welt vor, die noch bunter, greller, schriller ist als die ohnehin schon farbig aufgepeppte Werbewelt der hochkontrastigen Nobelfotos an den Reklametafeln. In Zeiten des Lockdowns, da das Leben zu einem grauen Brei ohne Höhepunkte zu mutieren droht, ist dies tatsächlich eine aufschreckende, popartige Attacke auf die Sinne und auf die Suche nach einem Sinn.
Florian Merkel spielt mit dieser Selbstinszenierung der schönen neuen Welt, konterkariert sie – und verfällt dem Reiz des Bunten auch selbst, das bei ihm aber nicht unbedingt zum Schönen wird. Manche der übermalten Fotos, eine familiäre Szene im schwedischen Wald etwa, bekommen sogar etwas Geheimnis-volles, Bedrohliches, obwohl sie nur zeigt, wie ein Mann im Wald einen Baum fällt und ein Mädchen, seine Tochter vielleicht, die Umgebung samt weggeworfenem Autoreifen erforscht.
Zwei übermalte Fotos sind seiner alten Heimatstadt gewidmet. „Mittags in Chemnitz“ heißen sie, zeigen Menschen – einer ist die Malerin Lydia Thomas – in der Nähe des Roten Turms. Die Stadt wirkt fern und statisch, trotz der Passanten im Hintergrund, wie gemalt eben. Andere Inszenierungen täuschen Aktivität vor, einige nehmen auf literarische und antike Figuren Bezug, wie die Titel der Fotos überhaupt oft poetisch überhöht sind.
Florian Merkel ist ein Meister der performativen Inszenierung. Haltung, Bewegung, Gesichtsausdruck seiner Modelle überzeugen – auch ohne Übermalungen, wie drei sensible Schwarzweißfotos beweisen, die sich auf ein Frauenbildnis Max Klingers beziehen und den Meister des Symbolismus in eine berührend nahe Gegenwart holen. Merkel greift diese Inszenierung auch in einigen Gemälden auf, die zwar auf das Fiktionale verweisen, aber wie die Fotos wie Abbilder einer gleichzeitig erdachten wie vorgefundenen Realität wirken, nur ohne deren fotografischen Abdruck.
Der Künstler bleibt damit seiner Vielseitigkeit treu. Geboren 1961 in Karl-Marx-Stadt, studierte er 1981 bis 1986 in Leipzig. Seit 1989 lebt und arbeitet er in Berlin. In Karl-Marx-Stadt war er als Schlagzeuger Mitglied der avantgardistischen Experimentalband Die Gehirne (mit Frank Maibier, Claus Löser und Steffen Gullymoy Geißler), die bei ausgewählten Gelegenheiten in verschiedenen Besetzungen bis in die Gegenwart hin-ein auftritt. Dies ist oft eine anstrengende Attacke auf Hörgewohnheiten und die Sehnsucht nach Harmonie und Schönheit. Wie Florian Merkels Fotos, die in all ihrer Buntheit mehr vom Schrecken wie vom Segen der Farbe und der Buntheit erzählen.