Florian Merkel 2022

Die Knut Baltz Formation rekapituliert 1978 Foto: Lydia Thomas

„Im roten Laubwerk voll Guitarren“
Laudatio und Performance über kulturelle Transfers und Initiationen
„DNA“ – Tor e.V. + friends
Zum Einstand des vordem erzgebirgischen Kunstvereins in der Lerchenstraße in Chemnitz am 26. Mai 2022

1.

„Im roten Laubwerk voll Guitarren
Der Mädchen gelbe Haare wehen
Am Zaun, wo Sonnenblumen stehen.
Durch Wolken fährt ein goldner Karren.

In brauner Schatten Ruh verstummen
Die Alten, die sich blöd umschlingen.
Die Waisen süß zur Vesper singen.
In gelben Dünsten Fliegen summen.

Am Bache waschen noch die Frauen.
Die aufgehängten Linnen wallen.
Die Kleine, die mir lang gefallen,
Kommt wieder durch das Abendgrauen.

Vom lauen Himmel Spatzen stürzen
In grüne Löcher voll Verwesung.
Dem Hungrigen täuscht vor Genesung
Ein Duft von Brot und herben Würzen.“

Ein schmaler Band mit Gedichten von Georg Trakl fiel mir in die Hände, als ich etwa 17 war und es gibt eben diese Momente im Leben, wenn man aufregendes Neuland betritt, dessen Existenz man erhofft hat, obwohl man es nirgendwo sah und bestenfalls ahnte, dass es so ewas geben musste.
Später war das Büchlein aus dem Regal verschwunden und ich vermute, dass ein gutmeinender Geist, der um mein Wohlsein besorgt war, seine Finger dabei im Spiel hatte.

2.

„Was du nicht allein vermagst, dazu verbinde dich mit anderen, die das gleiche wollen.“

Der in Stein gemeißelte Spruch in der Klosterstraße dürfte allen, die in Chemnitz zu Fuß unterwegs waren, schon aufgefallen sein. Als Jugendlichem gab man mir den Rat „Geh doch mal zum Axel Wunsch in den Zeichenzirkel“. Was ich denn auch tat. Gezeichnet wurde dort nicht so viel, aber da traf ich etliche Leute, stellvertretend für die heterogene Gruppe seien die Stelzer Geschwister genannt, die wie ich suchend unterwegs waren, die mein Leben in den folgenden Jahren begleiten und beeinflussen sollten. Den Zirkel besucht man solange man ihn braucht, die Beziehungen daraus können länger dauern. Jazzer spielen in One Night Stands, Rockbands halten sich mehr an das Familienleben.
Die Zusammenarbeit in einer Gruppe ist von mannigfaltigen Fährnissen begleitet und wenn es eine Zeit lang gut geht glaubt man an die Zukunft.
Manche Zusammenkünfte schreiben Geschichte durch das was sie auslösen. Die legendäre Clara Mosch in Adelsberg kenne ich mehr aus der Beschreibung: Der heilige Raum hatte nur geöffnet, wenn ich auf der Schulbank saß. Aber die Vorbildwirkung war davon unabhängig.

Ich habe hier die Ehre, zum Chemnitzer Einstand des vordem in Marienberg ansässigen Kunstvereins Tor e.V. einführende Worte zu geben.
Die Bilder, die vom erzgebirgischen Vereinsleben im Netz zu sehen sind, sehen gut aus und zeigen, was unter ähnlich Gesinnten möglich sein kann: Gut besuchte Veranstaltungen, gemeinsame Ausstellungen, Ton brennen im Tonnenfeuer und Aktzeichnen mit Hühnern. Wenn so eine Vereinigung eine Fabrikhalle bespielt um sich vorzustellen, dann muss es Substanz und Energie geben, die nach außen drängt.

Ich war bei einem Teil des Aufbaus dabei und wenn die blinde Hündin einer der Protagonistinnen durch die nächtlichen Räume streift, dann hat die Industriebrache Tarkowskische Qualitäten. Eine andere Assoziation ist der italienische Pavillon der diesjährigen Venedig Biennale mit seiner Simulation gewesener Emsigkeit.
Hier ist das alles original und in den bröckelnden Gemäuern hat sich ein recht lebendiger und lustiger Mix aus der Chemnitzer Kreativität versammelt und man kann darüber nachdenken, wo die vielen älteren und jüngeren Leute ihre Bezüge sehen.

3.

„Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut“

Wenn die offiziellen Statements und Lehrinhalte so dödelig daherkommen, dass sie nur mit Ironie kommunizierbar sind, sucht man nach Inspirationen, die dem eigenen Erleben entgegenkommen. Manche liegen offen und müssen nur entdeckt werden. In den 70ern und frühen 80ern waren das die Expresssionisten, im sächsischen Raum unübersehbar und sonst in Gedichtanthologien verteilt, deren verstörendes Potential durch das kulturpolitische Raster rutschte. Entsprechend beliebt waren sie als Impulsgeber der jungen Dichterinnen und Pinselschwinger, für wilde musikalische Experimente. Es gibt etliche Parallelen zwischen dieser Strömung und der damaligen ostdeutschen Jungkunstszene: Jeder, jede, die sich befugt fühlte, schrieb Lyrik oder druckte Grafiken, man grummelte mit Endzeitgedanken und kam mit Gleichgesinnten in kurzlebigen Zeitschriften und Mappenprojekten zusammen bis der Spuk plötzlich vorbei war, jeweils als die gewohnten Infrastrukturen zerbrachen.
Dieser Traditionsbezug wies freilich nicht nach vorn und da kam ein Einfluss ins Spiel, der möglicherweise eine Karl-Marx-Städter Spezialität war: Die Konditionierung durch Bayern 2, das vom Ochsenkopf den „Club 16“, später „Zündfunk Club“ genannt, in die sächsische Industriemetropole strahlte. Bis Leipzig reichte der Sender nicht, nach Dresden sowieso nicht. In beiden Städten waren die jüngeren Leute auch anders drauf als der Kreis in dem ich mich bewegte.
Der Zündfunk spielte, ständig nach Interessantem Ausschau haltend, ausgesucht gute Musik abseits des Mainstreams und wenn die Gegenwart gerade mal nichts zu bieten hatte, wurde nach Perlen aus der Vergangenheit gesucht. Wild Man Fischer, die Residents oder PIL kenne ich aus dieser Ecke. Dabei war es ausgeschlossen, dass um das Präsentierte ein Kultstatus aufgebaut wurde, was ins Programm kam wurde gleichzeitig kritisch hinterfragt und rechtzeitig beiseite gelegt wenn es neue positive Aussichten gab – eine konstruktive und treibende Denkweise. „No Future“ kam darin nur als Zitat vor.
Wie die Sendungen im Stammland selbst wahrgenommen wurden weiß ich nicht, für viele Chemnitzer Künstlerinnen und Künstler meiner Generation war dieser geistige Transfer prägend und ist noch heute spürbar.

Die Knut Baltz Formation spielt deshalb heute in didaktischer Absicht wieder Coverversionen, in Gestalt eines Club 16 Mitschnitts von 1978, der für den Interpreten selbst ganz bedeutsam war: Musik, die heute zu großen Teilen vergessen ist, aber möglicherweise etwas von ihrer Energie behalten hat.
Ein Detail am Rande, etliche der Bands stammen aus Akron/Ohio. Akron ist inzwischen partnerschaftlich verbunden mit Chemnitz – auch eine Form der Kooperation – und richtete eine Zeit lang einen erzgebirgischen Weihnachtsmarkt aus. Das war damals noch gar kein Thema.

Ein Blick in die Halle, rechts Bilder von Lydia Thomas
El Fox in Blau und Rot 2022 – In der ehemaligen Fabrik fand vor Jahren ein Sprayer Event statt.