Florian Merkel 2019

Text für den Katalog „Gezielte Setzungen: Übermalte Fotografie in der zeitgenössischen Kunst“
Sprengel Museum Hannover

Gebuntete Bilder

Die manuelle Farbgebung schwarzweißer Lichtbilder hat eine lange Tradition, es gibt sie fast solange wie das Medium Fotografie selbst, weil eben der Anblick eines monochromen Bildes ein emotionales Defizit hinterlassen kann. Es war, vor allem in der fotografischen Auftragsarbeit, lange Zeit naheliegend, die sonst nicht reproduzierbare Information mit dem Pinsel zu generieren.
Unter dem Namen der früher in Leipzig ansässigen Firma Keilitz ist deshalb seit vielen Jahrzehnten ein reiches Sortiment an Lasurfarben verfügbar, mit deren Hilfe ein schwarzweißes Foto in delikater Weise die entbehrte Farbigkeit bekommen kann.
Fotografen, die das eigentliche Potential ihres Mediums erkannten, mochten so etwas nicht, sahen die Manipulation als peinliches Sakrileg an, aber das ist eine eigene Geschichte.

Mit der Einführung praktikabler Farbfotografie aus standardisierten Produktionsabläufen gerieten die manuellen Korrekturverfahren teilweise in Vergessenheit, hatten in gewissen Nischenbereichen Bestand. Ich erinnere mich an Presseberichte aus den 90er Jahren über die Probleme türkischer Fotografen in Kreuzberg, deren colorierte Porträts von der Berliner Fotografeninnung nicht anerkannt wurden. Zweifellos spielte hier die besondere ästhetische Qualität der bewussten Abweichung vom technoiden Naturalismus eine Rolle: Die Absicht des Porträtisten steht über der Verinnerlichung einer Technologiestrecke.

Als ich in den 80er Jahren in Leipzig Fotografie studierte, benutzten wir die oben erwähnten Lasurfarben für diverse Hilfsarbeiten, jedoch nie zu dem Zweck für den sie ursprünglich geschaffen waren, das wäre albern gewesen im Sinne des rein zu haltenden Mediums – ein Standpunkt den ich im Grunde heute noch teile.
Die Verlockung war aber doch zu groß und ich begann mit Keilitz-Farben zu experimentieren, Abzüge von inszenierten Fotografien mit dem Pinsel zu färben, ein Verfahren das ich in den folgenden Jahren immer mehr ausbaute. Ich spielte ironisch mit einer meist realistisch anmutenden Farbgebung, verließ dabei aber selten den Bereich der eindeutig gestellten Situation.
Die offensive Farbverfremdung, wie sie aus der Popart bekannt ist, habe ich weitgehend vermieden. Es ging mir um die Konstruktion eines Weltbildes nach meinen Vorstellungen. Dieses enthält einen verstörenden Grundton, der aus der Diskrepanz von fotografischen Sehgewohnheiten und mehr oder weniger auffälliger Bildbeeinflussung kommt. Ohne die deutlich sichtbare fotografische Struktur wäre aus den Bildern Malerei geworden, der die Fiktionalität von vornherein immanent ist, die Schärfe der Ambivalenz wäre verloren gegangen.
Den Drang, tatsächlich farbig zu fotografieren, verspürte ich selten. Alles, was ich an Farbenfotografie kannte, war für meine Zwecke nicht zu gebrauchen: zu umständlich, zu unzuverlässig, zu wenig steuerbar.


Mann mit Frosch, 1987

Als Anfang der 90er Jahre die digitale Imitation und Erweiterung der analogen fotografischen Prozesse erschwinglich und handhabbar wurde, konnte man bei der Fotoverarbeitung plötzlich das Gleiche wie im Labor anstellen und außerdem noch sehr viel mehr. Für viele Manipulationen, die bis dahin undenkbar waren, fiel ganz schnell die Hemmschwelle.
Eine der ersten Künstlerinnen, die das thematisiert haben, ist Inez van Lamsweerde, deren Körpermontagen, die ich als sehr realistisch in Erinnerung habe, bis an die Schmerzgrenze gehen.
Im Zuge dieser Entwicklung änderte sich die Einbindung meiner Colorierungen im Kontext der sich zeitgleich etablierenden fotografischen Arbeitsweisen.
Ich erinnere mich an eine Diskussion junger Leute vor einem meiner Bilder, in der die Wortführerin genau erklärte, wie man so etwas eigentlich mit Photoshop herstellt. Für mich stellte bzw. stellt sich diese Frage umgekehrt. Ich hatte Versuche mit digitaler Colorierung gemacht, aber diese nur als Surrogat empfunden.
Als meinen Colorierungen nach der Jahrtausendwende endlich die konträre Exotik abhanden kam und deren doppelbödiger Gehalt sich in den parallel entstandenen medialen Bildwelten auflöste, setzte ich das Verfahren aus.

Inzwischen ist die Situation eine andere. Die digitale Bildverarbeitung hat im Mainstream ihren Avantgardecharakter verloren, deren visuelle Effekte fallen der Gewöhnung anheim. Immer mal wieder aufgeworfene Fragen nach der Wahrhaftigkeit korrigierter Fotos sind weniger von Bedeutung als suggeriert wird.
Die stattfindenden Umwälzungen betreffen weniger die Bildentstehung als die Formen der Rezeption. Die Körperlichkeit des fotografischen Abzuges beginnt obsolet zu werden. Dagegen findet die flüchtige Displaypräsenz bei schneller Verfügbarkeit, die eine funktionierende komplexe Technik als Träger braucht, große Akzeptanz.

Colorierte Fotografie spielt in den letzten Jahren wieder eine Rolle auf einem ganz besonderen Gebiet: Die bildhafte Erinnerung an Geschichte und deren Imagination orientieren sich, seit das Ausbleichen von Fotos beobachtet wird, an fotochemischen Zerfallsprozessen. Erwartungen der Betrachter koppeln sich an solche mehrfach reflektierten kollektiven Erfahrungen und es ist inzwischen üblich geworden, sowohl in den Massenmedien wie auch in individueller künstlerischer Arbeit, historische Fotos und Filme in diesem Sinne in verschossenen Tönen einzufärben, um die Illusion zu aktualisieren.
Einer der interessanteren Ansätze dieser visuellen Geschichtsanpassung könnte gegenwärtig von Peter Jackson kommen, der Filmaufnahmen aus dem ersten Weltkrieg synchronisiert und mit synthetischen Farben versehen hat. Bis zum Redaktionsschluss dieses Textes war das Werk in Deutschland noch nicht zu sehen; es ist doch anzunehmen, dass der Meister dabei seinem subversiven Potential treu geblieben ist.


Erleuchtung, 2017

Reiht man diese Aspekte aneinander, gibt es genügend Gründe, sich inmitten dieser teils flüchtigen Relativierungen in Freiheit und unbelastet von der medialen Konkurrenz wieder den alten Verfahren zu widmen und ihre Stärken auszuspielen, die an das individuell hergestellte Einzelstück mit seinem Mikrokosmos gebunden sind.

April 2019