Karin Thomas 1996

KULISSENZAUBER MIT KAMERA UND PINSEL

Ein Gespräch mit Florian Merkel von Karin Thomas
24. April 1996 in Berlin
in „Körper & Betrug“, Wohnmaschine, 1996

Thomas:
Ihre Bilder, Florian Merkel, verwischen die Grenze zwischen Fotografie und Malerei. Verstehen Sie sich eher als Fotograf oder als Maler?

Merkel:
Ich verstehe mich weniger als Maler, sondern bin von meiner Mentalität her Fotograf. Früher habe ich vor allem eine puristische Schwarzweißfotografie betrieben. Bei der Colorierung soll auch die Fotografie erhalten bleiben und nicht durch Malerei verdeckt werden. Ich übermale nicht, bei meinem Colorierungsverfahren bleiben die fotografischen Elemente stets deutlich sichtbar.

Thomas:
Wo sehen Sie Ihren Standort in der Geschichte der Kunstfotografie?

Merkel:
Meine Wurzeln reichen zurück in die Frühzeit der Fotografie, als den Fotografen von ihren Auftraggebern naturalistische Farbbilder abverlangt wurden. Da sie dies aber mit der damaligen Technik nicht leisten konnten, mußten sie zum Pinsel greifen und ihre Bilder ausmalen.

Thomas:
Wobei Sie allerdings nicht auf eine naturalistisches Ausmalen abzielen?

Merkel:
Die Colorierung ist mein Instrument, um für den Betrachter eine Vielfalt von Assoziationen möglich zu machen.

Thomas:
„Schöne“ Farben, weiche, unscharfe Linien und pathetische Gestik sind typische Elemente Ihrer theatralisch anmutenden Figurenbilder, die ihre ästhetische Qualität aus dem ausgewogenen Balancieren auf einer Grenzlinie zwischen kitschiger Illusion und ironischer Brechung beziehen.

Merkel:
Ja, es ist schön, wenn das so erkannt wird. Man wird kaum Bilder von mir finden, in denen die Farben stark verfremdet wirken oder augenscheinlich völlig falsch sind. Es soll eine Illusion der Wirklichkeit da sein, doch gleichzeitig merkt der Betrachter, daß die Wirklichkeit so nicht sein kann. Diese Brechung resultiert sowohl aus der Art meiner Colorierung wie auch aus bestimmten Bilddetails und Requisiten, die verstörend wirken können.

Thomas:
Demnach war das theatralische Moment des Inszenierens wichtig für die Verbindung von Fotografie und Malerei, die seit 1986 signifikant für Ihre Arbeiten geworden ist.

Merkel:
Ja, das szenische Gestalten war dafür ganz wesentlich. Denn eine Aufnahme mit mehr oder weniger dokumentarischem Anspruch zu colorieren würde mir in der Regel nicht einfallen. Das inszenierte Bild legitimiert den freien Umgang mit der Farbe.

Thomas:
Es fällt auf, daß Sie bei den inszenierten Portraits häufig mit Ihrem eigenen Bildnis bzw. mit der Ablichtung Ihres eigenen Körpers operieren. Ihr Arbeitpinzip, sich selbst in unterschiedlichen Rollen und Posen zu inszenieren, legt den Vergleich mit der Arbeitsweise von Cindy Sherman nahe.

Merkel:
Vergleiche mit Cindy Sherman werden manchmal gezogen. Ich nehme Cindy Sherman wahr und habe auch ihre Ausstellung in Hamburg gesehen. Aber ich will mich nicht zu sehr von ihr beeinflussen lassen, und ich möchte nicht ähnlich sein, dafür ist sie zu gegenwärtig.
Daß ich mich häufig selbst fotografiere, hat mehr praktische Gründe. Wer auf meinen Arbeiten zu sehen ist, ob ich oder eine andere Person, ist nicht relevant. Viele meiner Bilder sind auf Reisen entstanden, da ist es am einfachsten, mich selbst abzulichten. Hinzu kommt, daß ich mit mir selbst unkomplizierter als mit anderen Personen umgehen kann.
Wenn aber die Möglichkeit besteht, mit anderen Personen zu arbeiten, nutze ich sie. Diese sind dann Modelle, Akteure, sie posieren nach meinen Vorgaben, ohne daß sich dabei eine besonders psychologisierende Ebene der Kommunikation zwischen Künstler und Modell abspielt.


Morgenröte, 1994

Thomas:
Somit ist das klassische Fotogenre des Selbstbildnisses oder des Portraits nicht Ihr Thema.

Merkel:
Heute nicht mehr. Es gibt eine alte Reihe von Schwarzweißportraits, die ist vorerst abgeschlossen.

Thomas:
In diesen inszenierten Selbstportraits aus den Jahren 1986-1988 kokettierten Sie mit Starallüren und spielten mit witzigen Albernheiten, so daß man meinen könnte, Sie hätten sich in diesen Bildern selbst nicht ganz enst genommen.

Merkel:
Diese Arbeiten – übrigens meine ersten „seriösen“ Colorierungen – waren für mich unbeschwerte, lockere Etüden, sie trafen nicht mein tiefstes Herzblut. Sie hatten ihre Vorläufer in kleinen colorierten Arbeiten, die meist als Geburstagsgeschenke gedacht waren.
Mit der politischen Wende hat es auch in meiner Fotografie einen deutlichen Wandel insofern gegeben, als ich nach 1989 keine Schwarzweißfotografien mehr gemacht habe und dafür meine colorierten Fotos ernster geworden sind. Sie haben ihre frühere Unbeschwertheit verloren.

Thomas:
Ein Kritiker hat Ihre Figurenarrangements mit einer „Simultanbühne“ verglichen, auf der „die Figuren wie in einem Kaleidoskop zu in der Bewegung erstarrten lebenden Bildern ineinandergeschoben“ werden. Wie gehen Sie bei diesen ausgesprochenen Studioinszenierungen technisch vor?

Merkel:
Zumeist weden eine oder auch mehrere Personen mehrmals nacheinander auf ein und dasselbe Negativ belichtet, insofern ist das entstandene Bild eine Collage. Mit dem Pinsel wird das Bild vollendet, doch das Foto bleibt als solches sichtbar, es wird nicht grundsätzlich verändert.

Thomas:
Ihre Figurenarrangements verdichten Anekdoten aus Geschichte, Sagenwelt und Mythologie zu inszenierten Bildern. Haben Sie eine bestimmte Thematik im Blick, wenn Sie eine Ihrer Bildserien beginnen?

Merkel:
Mythische Figuren und Sagengestalten haben immer einen spezifischen Realitätsbezug, und sie sind zugleich Symbole für Verhaltensweisen und Gefühle, weshalb sie ja auch im Verlauf der Kunstgeschichte ausgiebig in Bilder umgesetzt worden sind. Bildtitel, die sich auf Figuren wie Diana oder Perseus beziehen, sind deshalb bei mir sehr allgemein gehalten.
Mich beschäftigt eine bestimmte Grundidee, und ich fange an, zu arbeiten. Doch das Bild wird meist anders als die Grundidee. Der Zufall und der Arbeitsprozeß mit den Akteuren und Requisiten spielen erheblich mit.
Ein Werkzyklus ist für mich abgeschlossen, wenn mir irgendwann das Konzept klar wird.

Thomas:
Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß Sie Ihre Bilder erst im nachhinein betiteln.

Merkel:
Ja, fast immer. Der Titel ist nicht sehr relevant.

Thomas:
Doch in der Serie, die 1993 für Ihre Potsdamer Ausstellung entstanden ist, haben Sie sich thematisch auf preußische Geschichtsbilder festgelegt. War Ihnen diese Thematik nach der Wende ein besonderes Anliegen?


Ohne Fleiß kein Preis, 1993

Merkel:
Das Thema war mir vorgegeben; die Serie sollte sich irgendwie auf Potsdam und die preußische Vergangebheit beziehen. Ich habe mir aus dem populären Fundus preußischer Motive bekannte Geschichten wie die Hinrichtung Kattes, des Jugendfreundes von Friedrich dem Großen, oder die Einführung des Kartoffelanbaus als markante Fixpunkte ausgewählt und daraus dann meine Bildgeschichten konstruiert.

Thomas:
In den Preußenbildern rücken dramatisches Pathos und Kulissenzauber, Sentimentalität und Ironie, Zitat und Phantasie sehr nahe aneinander.
Überhöhung und Klischee berühren sich, die Bildpointen oszillieren zwischen Witz und tieferer Bedeutung.
Anders Ihre jüngste Serie, die den Titel „Die fünfte Kolonne“, eine Wortschöpfung der politischen Propaganda, trägt. Hier findet sich zwar im Titel der Serie die für Ihre Arbeit so signifikante ironische Brechung, doch die Bilder selbst – Figuren umrahmt von einem Hintergrund aus echtem Blattgold – strahlen eine merkwürdige Erhabenheit und Ferne aus, die an russische Ikonenmalerie erinnert. Warum der Titel „Die fünfte Kolonne“?

Merkel:
Der Grundgedanke war, daß „Die fünfte Kolonne“ ein Schlagwort war, das irgendetwas Unbekanntes bezeichnete, etwas, das wühlt, und man weiß doch nicht so recht, ob es das, was da wühlt, auch wirklich gibt. In meinen Bildern bekommt „Die fünfte Kolonne“ ein Gesicht.

Thomas:
Die Bilder der „fünften Kolonne“ vermitteln den Eindruck des Abgehobenen, Besonderen, wozu der Goldgrund einen ganz erheblichen Beitrag leistet. Entsteht durch den Goldgrund eine andere Auratisierung als durch die Colorierung?


St. Petersburg, 1994

Merkel:
Durch den Goldgrund sollen die Figuren aus ihrem normalen Zusammanhang herausgelöst werden und isoliert erscheinen. Die Figuren wurden in völkerkundlichen Museen abgelichtet, wo sie heute einen recht einsamen Eindruck hinterlassen. Die meisten dieser Figuren sind zudem in einer Zeit entstanden, als man sich noch die Mühe machte, solche Schaupuppen sorgfältig auszuarbeiten.
Wenn durch den Goldgrund der museale Charakter ausgeblendet wird, sind diese Gestalten sehr allein. Sie bekommen ein Eigenleben und werden Sinnbilder für etwas Unwirkliches, Rätselhaftes.

Thomas:
Das heißt, durch den Goldgrund verlieren die Figuren nicht nur ihren normalen Kontext, sondern auch ihre triviale Bildlichkeit.

Merkel:
Es gibt ein Buch das heißt „Das ewige Anlitz“, das eine Sammlung von Totenmasken enthält, wenn man das Buch durchblättert, findet man zwar nur Gipsabdrücke, und doch sieht man in den meisten dieser Totenmasken das Leichengesicht.
Bei den Gestalten der „fünften Kolonne“ wird nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob es sich um einen lebenden Menschen oder künstliche Wesen handelt. Auch haben sie wie die Totenmasken etwa Geheimnisvolles.

Thomas:
Da Sie Ihre Fotos mit Farben colorieren, die auch in der trivialen Bildwelt beliebt sind, drängt sich die Frage auf, ob Sie die Pop Art beeinflußt hat. Zumal Sie sich auch nicht scheuen, wie die Pop-Künstler ein ironisches Spiel mit trivialen Requisiten zu betreiben.

Merkel:
Man hat bestimmte Haltungen, Farben, Utensilien im Hinterkopf, wenn man seine Bilder, wie ich es tue, inszeniert. Wenn ich zum Beispiel Engelsflügel auftauchen lasse, dann gibt es dazu tausende Versatzstücke aus der Kunstgeschichte und der trivialen Bildwelt. Das ist natürlich alles im Bewußtsein.

Thomas:
Man sagt Ihnen eine Vorliebe für das italienische Barock nach.

Merkel:
Mich haben die italienischen Barockkirchen im Originalzustand sehr beeindruckt. Das, was man hier in den Museen sieht, ist ja meist durch den Kunstgeschmack der Kuratoren gefiltert. Doch in italienischen Kirchen besitzt das Barock noch seinen Edelkitsch der Seifenopertheatralik. Ich denke da zum Beispiel an die Glassärge, in denen Jesus wie Schneewittchen aufgebahrt ist. So etwas würde es in den evangelischen Gegenden Norddeutschlands nie geben. Gefallen haben mir auch die Marmorgruppen von Märtyrern, die so realistisch ausgearbeitet sind, daß sie wie fotorealistische Polyesterplastiken aussehen.

Thomas:
Im Gegensatz zu Ihren inszenierten Figurenarragements, in denen die ironische Brechung deutlich hervortritt, vermitteln Ihre Landschaften auf den ersten Blick einen idyllischen Eindruck, der sich erst auf den zweitwn Blick – wenn man die in der Landschaft agierenden, oft kleinen Figuren wahrnimmt – relativiert. Es ist die Colorierung, die diesen Eindruck des Arkadischen hervorruft und die zugleich auch ein Moment des Künstlichen in die Landschaften hineinträgt.


Eingebung, 1995

Merkel:
Ich habe zuweilen ein sehr starkes Gefühl für schöne Landschaften. Sie sprechen mich an und ich reagiere in meiner Weise darauf.
Ich mag alte Bilder vom Typ „Landschaft mit mythologischer Szene“, wo in der Natur immer noch Handlung stattfindet.

Thomas:
Mögen Sie die mythologischen Naturszenerien von Nicolas Poussin?

Merkel:
Wenn ich durch Museen gehe, erfreue ich mich an Bildern dieser Art. Poussin gehört dazu.
Es gibt ein Gemälde von Casper David Friedrich mit einem einsamen Soldaten, der im Wald verschwindet. Das ist auch eine Landschaft in der etwas passiert.

Thomas:
Sie meinen wohl das Gemälde „Der Chasseur im Walde“ aus dem Jahre 1814, das zu Friedrichs patriotischen Bildern gehört. Die kleine Gestalt des versprengten französischen Reiters hat etwas Verlorenes; inmitten der Winterlandschaft mit dem Raben hat man die Empfindung, daß der Chasseur dem Tod entgegeneilt. Das Bild besitzt die für die Romantik so typische Aura des verlorenen Traums. Lieben Sie die Romantik?

Merkel:
Der Begriff ist mir zu weitläufig, als daß ich ihn für mich verwenden könnte. Vor langer Zeit habe ich Novalis gelesen und fand ihn ganz toll; das ist für mich Romantik, nicht diese Spätromantiker, die desillusioniert jenen Träumen nachhingen, die schon längst vorbei waren.

Thomas:
Ist es die für Novalis noch mögliche umfassende Poetisierung der Welt, die Einheit von Traum und Wirklichkeit, die Sie so besonders fasziniert?

Merkel:
Novalis gehört zu den Frühromatikern, die noch ihre unschuldigen Träume hatten. Später waren die Romantiker dann sehr verbittert. Mir fällt da E.T.A. Hoffmann ein, bei dem die Feen Socken für die Armee stricken mußten.