Eröffnungsrede Waschhaus Potsdam
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Florian Merkel – Potsdam 5.3.2014
„Nichts ist romantischer, als was wir gewöhnlich Welt und Schicksal nennen. Wir leben in einem kolossalen Roman.“ Bei diesem Satz des Dichters Novalis aus dem 18. Jahrhundert könnte ich es eigentlich belassen, um die Arbeiten von Florian Merkel zu charakterisieren. Freilich ist sein Blick auf die Romantik ein anderer als der von Novalis – was aber den „kolossalen Roman“ in dem wir leben, anbelangt durchaus zutreffend.
Florian Merkel ist ein künstlerisch-technisches Mehrfachtalent, wofür diese Ausstellung ein erneuter Beweis ist. Bekannt ist er nicht nur als Fotograf, als Maler und Grafiker, sondern auch als Performer, Filmer und Musiker. Die Art seiner künstlerischen Äußerungen scheint zwar zunächst von der Fotografie bestimmt, er geht dann aber auf verschiedene Weise malerisch und aktionistisch vor. Seine Kunst agiert im Spannungsfeld zwischen Spottlust und Empfindsamkeit. Gesellschaftliche Konventionen greift er an ohne vordergründige Betonung. In seinen Bildern ist vieles Schein und eine reine Erfindung seiner eigenen Phantasie. Mit den grellen handcolorierten Farbfotografien hat er eine besondere Form gegen die Behauptung der Fotografie als Repräsentation der Wahrheit gefunden. Seine popartigen Schock-Bilder sind lustig und gewagt, kühn und ernsthaft zugleich – voller Spannung zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Die Lust des Künstlers an seiner Arbeit überträgt sich auf den Betrachter als Lust an dieser Art von Kunst und Leben.
Merkels Fotografie ist physisch unmittelbar und subjektiv nah am jeweiligen Gegenstand. Die Bilder scheinen auf den ersten Blick heiter. Ihre tiefe Bedeutung erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick. In den großflächig angelegten Acrylmalereien verbinden sich seine verschiedenen Talente – sein fotografisch genauer Blick, sein Sinn für Bewegung, seine malerische und zeichnerische Begabung. Mitunter erinnern die Bilder mich an eine Art Kultivierung japanischer Mangas. Das aber nur in dem Sinn: Der Begriff Manga steht für zwangloses, ungezügeltes Bild. Diese Aussage soll nicht als unzulässige Simplifizierung verstanden werden. Es geht dabei nicht um die Übernahme von Stilelementen, sondern um eine neue einzigartige Darstellung von Gefühlen und Bewegungen der Figuren aufeinander zu oder auch abgegrenzt voneinander. Und das ist nicht die einzige Verbindung zu Japan – manche der Figuren wirken wie die aus einem modernen No-Theater.
Seine Motive findet Merkel ebenso in der klassischen Mythologie wie in der christlichen Ikonografie, in historischen Zeitabschnitten, wie in der Gegenwart.
Seine Kunst ist ebenso eine Art Selbstvergewisserung wie Spurensuche durch kunstgeschichtliche Epochen bzw. auch deren Zitate hindurch.
Florian Merkel wurde 1961 – dem Jahr des Mauerbaus – in Karl-Marx-Stadt, heute wieder Chemnitz, geboren.
1981–86 studierte er Fotografik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
1990 wurde er Mitglied der neu gegründeten Berliner Fotografen-Gruppe Eidos. 1991–93 arbeitete er in der ambitionierten Fotogalerie in der Brotfabrik Berlin-Weißensee mit.
1993–98 war er Mitglied in der Deutschen Fotografischen Akademie. In den folgenden Jahren wären zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen zu nennen.
Seit 2008 das Performance Projekt polymodular! / Videoarbeiten und interaktive Installationen mit BEEP OFF, wo auch sozialpsychologische Prozesse aufgezeigt werden.
Florian Merkel lebt und arbeitet in Hannover und Berlin.
Ab 1990 gibt es keinen Bruch aber einen deutlichen Wandel in seiner Fotografie insofern als er nicht mehr schwarzweiß arbeitet, sondern expressive Farbigkeit als primäres Ausdrucksmittel für sich entdeckt hat, und seine Botschaft eindringlicher und härter in der Aussage geworden ist.
„Ich verstehe mich weniger als Maler, sondern bin von meiner Mentalität her Fotograf“, sagt er 1996 in einem Gespräch mit der Kunsthistorikerin Karin Thomas über sich selbst. Und weiter: “Früher habe ich vor allem eine puristische Schwarzweißfotografie betrieben. Bei der Colorierung soll auch die Fotografie erhalten bleiben und nicht durch Malerei verdeckt werden. Ich übermale nicht, bei meinem Colorierungsverfahren bleiben die fotografischen Elemente stets deutlich sichtbar.“ Dennoch verwischen inzwischen die Grenze zwischen Fotografie und Malerei insofern, dass sie sich ergänzen, überlagern und dabei doch kenntlich bleiben.
Die Arbeiten von Florian Merkel wirken sehr modern und zeitnah, auch synthetisch – trotzdem sieht er seine „Wurzeln in der Frühzeit der Fotografie, als den Fotografen von ihren Auftraggebern naturalistische Farbbilder abverlangt wurden. Da sie dies aber mit der damaligen Technik nicht leisten konnten, mußten sie zum Pinsel greifen und ihre Bilder ausmalen.“
Für Florian Merkel ist seine Art der Colorierung ein Instrument, es ist kein Ausmalen, sondern ein künstlerischer Prozess, während dessen sich Proportionen und Bewegungen verschieben. Das Wechselspiel zwischen Farbe und Linie betont die Gestik und Dramatik der Figuren auf einem Bild, immer neue Handlungsspielräume öffnen sich, zusätzliche Assoziationen werden geweckt. Gezeigt wird nicht der Gegensatz zwischen Illusion und Wirklichkeit, sondern Möglichkeiten eines phantasievollen Seins. Dabei ist dem Künstler vor allem die Inszenierung wichtig – bis ins Detail scheinbar unwichtiger Gegenstände. Er betritt mit seinen Bildern eine Art Bühne, auf der er das Geschehen bestimmt. Merkel selbst nennt es „szenisches Gestalten“. Für ihn „legitimiert das inszenierte Bild den freien Umgang mit der Farbe.“
Daß in seinen Bildinszenierungen oft er selbst als Figur auftaucht, hat rein praktische Gründe: “ Wer auf meinen Arbeiten zu sehen ist, ob ich oder eine andere Person, ist nicht relevant. Viele meiner Bilder sind auf Reisen entstanden, da ist es am einfachsten, mich selbst abzulichten. Hinzu kommt, daß ich mit mir selbst unkomplizierter als mit anderen Personen umgehen kann.“
Aus einer einfühlsam ironischen Distanz heraus steuert der Künstler seine Verführungen gegenüber dem Betrachter und setzt dabei auf dessen Bildgedächtnis. Auffallend an den Werken von Merkel ist die Art der Korrespondenz zwischen Inhalt und Form. Das differenzierte Verhältnis einzelner Figuren auf der Fläche, die zum Raum wird – die „Bühnendramaturgie“ – macht das popartige Geschehen erfahrbarer und die Wiedererkennbarkeit deutlicher.
Lebendigkeit dieser Kunst entsteht durch die Mitteilung des Künstlers, der seine vitalen Bilder aus ganz verschiedenen Elementen, Ausdrucksformen collageartig zusammensetzt. Alles scheint aus einem tiefen inneren Reichtum zu kommen.
Daraus entwickelt sich ein Eigenleben der Bilder – sie sind unwirklich und wirklich zugleich. Die Figuren leben und sind doch in die Nähe künstlicher Erscheinungen gerückt. Obwohl Florian Merkel sicher eine ganz andere Kunstauffassung hat, erinnern mich manche seiner Arbeiten an frühe Figuren des Bildhauers Hartmut Bonk, der zu DDR-Zeiten vor allem Aufsehen erregte durch seine Polyesterfiguren, Figurengruppen, der 1982 von Dresden nach West-Berlin ausgereist ist und diese Art der Bildhauerei dann dort bald aufgegeben hat. Verbindend sind aus meiner Sicht fließende Konturen und rhythmisch wirkende Linien bzw. Strukturen. Dennoch liegen zwischen beiden Künstlern Welten in der Anschauung und der Wahrnehmung ihrer unmittelbaren Umgebung. Die Kunst von Merkel ist nicht privat. Er setzt sich auseinander mit gesellschaftlichen Rollenspielen, mit Verhaltensweisen zwischen Anpassung, Widerspruch und Neuerfindung. Es reizt ihn auch Klischees zu verwenden, um zu Kernaussagen über die Realität zu gelangen. Daß Fotografie nichts mehr mit Wahrheit zu tun hat, ist längst bekannt. Daß Fotografie aber Grundlage künstlerischen Schaffens sein kann, ist so lange noch nicht anerkannt. Wie Florian Merkel dann mit dem Medium umgeht, wie er es für seine Art der Gestaltung nutzt ist eigen und führt einen in eine andere Gliederungsstruktur.
Das Zusammentreffen der Figuren in Merkels Bildräumen ist dynamisch. Er erfindet immer andere Konstellationen. Dabei werden die Ebenen absichtsvoll miteinander vermischt – Wertvolles neben Wertlosem, Vornehmes neben Gewöhnlichem, Ordinärem. Bedeutungen verschiebt er damit – alles ist ihm Material. Und dann ist da noch eine andere Seite – sein Gefühl für Landschaften, seine Nähe zur und seine Freude an Natur. Aus diesen Fotofolgen spricht eine innig erlebte Nähe und ein Bei-sich-selbst-sein, das Einfachheit und Ruhe birgt. Und um den Bogen zu schließen: „Die Welt muss romantisiert werden, so findet man den ursprünglichen Sinn wieder.“ Sagt der Dichter Novalis und eine ganz andere, dem Zeitgeist einerseits nahe und andererseits widersprechende Haltung wohnt den Arbeiten von Florian Merkel inne.
Gabriele Muschter